Der große Coast Is Clear-Jahresrückblick 2022 – Teil 2: Die Alben

Donnerstag, Dezember 29, 2022 Parklife 2 Kommentare

Kommen wir damit zu der (normalerweise) Königsdisziplin meiner Jahresrückschauen, den Albumcharts. Wie schon im vorigen Post erwähnt, spielten die Alben in diesem Jahr allerdings nur die zweite Geige, was die Hörintensität angeht, aber dennoch sind eine ganze Reihe recht schöne Platten erschienen.

Beginnen will ich, wie es gute alte Sitte ist, mit den größten Enttäuschungen des Jahres. Damit meine ich gar nicht all die Scheiben, die quasi rückstandslos in meinem Gehörgang verpufft sind (davon gab es seeeehr viele), sondern diejenigen, bei denen ich im Vorfeld große Erwartungen und Hoffnungen hatte, die dann jedoch nicht erfüllt worden. Als allererstes ist da leider Tocotronic zu nennen. Langjähre Leser meines Blogs wissen sicherlich, dass eigentlich jedes ihrer Alben in den letzten 20 Jahren auch in meinen Charts aufgetaucht ist. Doch mit dem neuen Werk (dessen im Grunde sympathischer Titel «Nie wieder Krieg» leider 2022 ad absurdum geführt wurde) haben sie echt eine Bauchlandung hingelegt. Die meisten Songs finde ich öde und langweilig, sie plätschern so dahin, und am Ende der Tracklist habe ich richtig schlechte Laune. Sehr schade! Zu den weiteren Enttäuschungen zählt für mich insbesondere Beach House (totale Scharchmucke...), aber auch von Just Mustard, Warpaint oder Arcade Fire z.B. hatte ich mir mehr erhofft. Diese Platten waren nicht unbedingt schlecht, nur halt auch nicht gut genug für meine Charts.

Nun aber genug gemeckert, kommen wir zu den Highlights des Jahres, also meinen Lieblingsalben 2022. Ein Blick auf die Liste zeigt, dass ganz vorne (wie schon letztes Jahr) zwei Pop-Platten stehen, und danach einiges an z.B. deutschsprachigem Krautrock, und ein paar alte Bekannte wie Moi Caprice, Graveyard Club und Metric sind auch (wie fast immer) mit am Start. Die beiden positivsten Überraschungen des Jahres waren für mich sicherlich die „Comeback“-Alben von Suede und Placebo – beiden Bands hätte ich so gute Werke eigentlich gar nicht mehr zugetraut, wenn ich ehrlich sein soll.

 

01. Cats on Trees – Alie
Na, das ist doch mal was – ein französisches Album auf Platz Nr. 1. Obwohl ich ja eine große Affinität zur Musik unseres Nachbarlandes habe, passiert so etwas doch recht selten. Aber die neue Scheibe des Duos ist einfach ganz wunderbar perlender, flotter und abwechslungsreicher Indiepop, der mal an Acid House Kings erinnert, dann wieder etwas elektronischer rüberkommt. So sind definitiv eine ordentliche Reihe Hits für die (imaginäre) Indiedisco enthalten und sorgen für hoch unterhaltsame 46 Minuten. Einziges Manko: leider sind die meisten Songs auf Englisch, und ich höre halt nun mal gern die französische Sprache. :-)
Highlights: «Please please please», «She was a girl», «Dad on the moon»



02. Princess Chelsea – Everything is going to be alright
Die Neuseeländerin Chelsea Nikkel beglückt uns nun schon seit vielen Jahren mit ihrer Musik, die sie zu Beginn ihrer Karriere mal augenzwinkernd als „Disney-Core“ betitelte. Aber so unpassend ist der Begriff gar nicht – sie hat eine sehr süßliche Stimme, die sie z.T. auch absichtlich harmlos klingen lässt – dazu gibt es dann poppige Melodien und durchaus auch mal böse Texte und die eine oder andere Kratzgitarre. Auf ihrem neuen Album hat sie dies nun perfektioniert und reiht coolen Song an coolen Song, so dass die Scheibe ihr für mich bestes Werk ist. Stilistisch passt es durchaus zu meinem Platz 1.
Highlights: «Love Is More», «Everything is going to be alright», «Forever is a charm»


03. Emily Jane White – Alluvion
In eine ganz andere Kerbe schlägt die US-Amerikanerin Emily Jane White: düster geht es zu, wie man schon am Cover erkennen kann. Wie auch ihre Landsfrau Chelsea Wolfe kann man ihre Musik als DoomFolk bezeichnen – abgründige Atmosphäre, aber immer getragen durch den schönen Gesang und mit melodischer Finesse. Wieder mal ein tolles Album von ihr.
Highlights: «Crepuscule», «Hold them alive», «Battle call»


04. Kratzen – zwei
Von dieser Band aus Köln hatte ich bis vor wenigen Monaten noch nie etwas gehört. Durch eine Promomail wurde ich auf ihr neues Album aufmerksam gemacht – und der Rest ist Geschichte. :-) „Krautwave“ nennen sie ihren Sound, und ich denke, das passt perfekt, werden doch Krautsounds/Motorikbeats mit z.T. Wave-artiger Atmosphäre vermengt. Das ganze Album hat einen guten Flow und eine hypnotische Atmosphäre.
Highlights: «Glauben», «Geheimnis», «Reise

 

05. Graveyard Club – Moonflower
Wie schon in der Einleitung erwähnt: alte Bekannte mit einem weiteren sehr guten Album. Das Quartett aus Minnesota bringt ja nun seit diversen Jahren immer wieder feine Scheiben raus, auf denen sie einer poppigen New Wave-Ästhetik huldigen, dabei aber nicht übermäßig retro klingen. Ihre große Stärke sind die eingängigen Melodien, von denen sie auch hier wieder etliche aus dem Ärmel schütteln.
Highlights: «Valens», «Rose wine», «Nowhere»

 

06. Minimal Schlager – Love, Sex & Dreams
Stilistisch nicht völlig unähnlich zu Platz Nr. 5 ist das Duo, das derzeit in Berlin wohnt – wieder werden Elemente aus dem Wave verknüpft mit Pop, Elektronik und durchaus auch etwas luftigeren Elementen, immer aber sehr geschmackvoll und stilsicher. Erneut ein Album, das gute Laune beim Hören erzeugt.
Highlights: «Submission», «Before», «Rush»

 

07. Moi Caprice – Nine Lives
Diese dänische Band muss ich hier eigentlich nicht mehr groß vorstellen, da sie doch zum festen Inventar meines Blogs gehört und fast seit Anbeginn (also seit über 15 Jahren) immer wieder mit neuer Musik bei mir punkten kann. So auch mit dem neuen Werk, das, wie schon die paar davor, zunächst unspektakulär klingt, aber schön. Indiepop mit (oft melancholischer) Melodie, Pep und schmachtendem Gesang. Eine Art Sommeralbum.
Highlights: «Changing Together», «You Only Live Twice»

 

08. Die Sauna – In die Nacht hinein
Auch eine Band vom Schliersee in Bayern hat es in meine Top 10 geschafft. Das neue Album des Quartetts gehört zu einer neuen Welle von deutschen Acts, die sich dem PostPunk verschrieben haben, aber anders als bei den bekannteren Landsleuten von Die Nerven geht es hier melodiebetonter zu, nicht ganz so abgründig und kantig, was mir als altem Indiepopper sehr entgegen kommt. Auch ein paar Krautrockelemente sind nicht zu überhören und runden das Gesamtbild ab.
Highlights: «In die Nacht hinein II», «Allen geht es gut»

 

09. Metric – Formentera
Auch die kanadische Band Metric hat dieses Jahr wieder eine gute Scheibe abgeliefert – der Höhepunkt war gleich die erste Single «Doomscroller», die mit fast 11 Minuten eine Rundreise durch diverse Stile liefert und von krachig bis besinnlich alles bietet. Insgesamt ist das Album aber etwas schwächer als der Vorgänger imho, doch das ist Jammern auf hohem Niveau :-).
Highlights: «Doomscroller», «What feels like eternity»

 

10. Placebo – Never Let Me Go
Ja, tatsächlich haben sich die Mannen rund um Brian Molko wieder berappelt – nach einigen in meinen Ohren doch eher langweiligen Alben und längeren Pausen ist das neue Werk fast schon als klassisches Placebo-Material zu bezeichnen und bringt die frühen 00er Jahre zurück.
Highlights: «Try better next time», «Beautiful James»

 

11. Pale Blue Eyes – Souvenirs
Die britische Indiepop-/Tweepop-Band zeigt auf ihrem aktuellen Album eine angenehme (eher genre-untypische) Vielseitigkeit und lässt mal Gitarrenpop, mal etwas Shoegaze oder eine Prise Krautrock mit einfließen.
Highlight: «TV Flicker», «Dr Pong»

 

12. Christin Nichols – I’m Fine
Schön, dass ich auch mal eine Künstlerin aus der Nähe von Bielefeld in meinen Charts aufführen darf (ich habe ja eine Bielefelder Vergangenheit). Christin Nichols war Sängerin beim Punk-Rock-Duo Prada Meinhoff und legt eine sehr starke Soloscheibe vor, die deutliche PostPunk-Einflüsse aufweist.
Highlights: «Bielefeld», «Neon»

 

13. EMF – Go Go Sapiens
Na huch, wer hätte gedacht, dass es im Jahr 2022 noch mal ein neues EMF-Album geben würde? Nach fast 30 Jahren Pause und einer Reihe von (überwiegend gelungenen) Soloalben des Sängers James Atkin sind sie nun also mit einer neuen CD zurück, die man als gelungenes Comeback bezeichnen kann. Stilistisch ist es eine Mischung aus früheren EMF-Tagen und den Atkin-Solosachen.
Highlights: «Equilibrium», «Stay Classy San Diego»

 

14. Sharon Van Etten – We've been going about this all wrong
Die US-amerikanische Sängerin veröffentlicht mit schöner Regelmäßigkeit sehr geschmackvolle Musik, die mich diesmal durchgängig auf Albumlänge zu überzeugen weiß.
Highlights: «Darkness Fades», «Headspace»

 

15. Thea & The Wild – Deadheading
Aus Norwegen stammt die Sängerin Thea Glenton Raknes, die als Thea & the Wild leicht angeschrägte Indiemusik spielt, die etwas schwer zu beschreiben ist. Es geht durchaus etwas dunkel zu.
Highlights: «Take Me Back», «Misery Mountain»

 

16. Suede – Autofiction
Auch bei Suede hätte ich gar nicht mehr mit einem gelungenen Comeback gerechnet, aber die neue Scheibe enthält nicht etwa Balladen, sondern sehr düstere, teils auch krachige Gitarrenmusik, die ich sicher nicht jeden Tag hören kann.
Highlights: «Turn Off Your Brain And Yell», «She Still Leads Me On»

 

17. Yeah Yeah Yeahs – Cool it Down
Das New Yorker-Indierock-Duo existiert auch schon seit über einem Jahrzehnt – nicht immer hat mich ihre Musik gepackt, aber die neue CD ist wirklich als Gesamtalbum sehr nach meinem Geschmack.
Highlights: «Wolf», «Burning»

 

18. Wyldest – Feed The Flowers Nightmares
Die britische Indiefolk-Band ist bekannt für ihre sehr dunkel-melancholischen, aber stets melodischen Klänge, die sie auch auf ihrem aktuellen Album wieder zu Gehör bringen.
Highlights: «Abilene», «Every Time You'll Be Mine»

 

19. The Birthday Massacre – Facination
Die kanadische „Elektro-Goth-Industrial“-Band ist seit Langem eine Konstante in meinem Musikkosmos, und seit vielen Jahren bringen sie sehr ähnlich klingende und ausschauende Alben heraus, auf denen immer wieder prima Songs sind – so auch diesmal.
Highlights: «Dreams of You», «Like Fear, Like Love»

 

20. Future Conditional – Isotech
Auf dem Cover kann man schon erahnen, dass dieses Nebenprojekt von from Glen Johnson und Cédric Pin von Piano Magic der kühlen elektronischen Ästhetik von Kraftwerk zugeneigt ist, mit Gastsängern wie Bobby Wratten aber auch Indiepopcharme mit einfließen lässt.
Highlights: «Demolitions», «Cold Love»


21. Qntal – IX - Time stands still
22. Beverly Kills – Kaleido
23. Mitski – Laurel Hell
24. Sea Power – Everything Was Forever
25. INVSN – Let The Light Love You
26. Say Sue Me – The Last Thing Left
27. Katharina Nuttall – The Garden
28. The Lightning Seeds – See You In The Stars
29. The Mountain Goats – Bleed Out
30. Death Cab For Cutie – Asphalt Meadows
31. Re:NO – Dreamer
32. CIEL – Not in the sun, nor in the dark (EP)

2 Kommentare:

  1. Whoa, hallo, grüß Dich.. Interessante Liste, wie immer. Und ich bin jedesmal wieder überrascht, wie unterschiedlich unsere Jahresrückblicke ausfallen und welche Alben Berücksichtigung finden.. ;-)
    Auch in diesem Jahr wieder ganz viel, wovon ich nicht einen Ton kenne und gehört habe oder die mir (Emily Jane White - ich hatte einen Song gehört, der mich überhaupt nicht gepackt hat und dann die Veröffentlichung komplett verpennt..) durch die Lappen gegangen sind.
    Danke für Deine unermüdlichen Inspirationen, weiter so..
    Und demnächst sitze ich dann quasi in Deiner Nachbarschaft..
    Herzliche Grüße
    Jens

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    1. Hallo Jens, danke für den Kommentar! Ja, es ist jedes Mal wieder ein Wahnsinn, wieviel unterschiedliche Musik es so gibt und wie verschieden die persönlichen Präferenzen so liegen. :-) Durch meine neuerliche Faszination für japanische Musik habe ich mich wohl ein Stück von den üblichen Indiepfaden entfernt – in den Albumcharts spiegelte sich das (noch) nicht wieder, aber eben bei den Songs.
      Wohin wird es Dich demnächst denn verschlagen?
      Beste Grüße,
      Peter

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