Der große Coast Is Clear-Jahresrückblick 2019 – Teil 2: Die Alben
Kommen wir heute zu der vermutlich wichtigsten Rubrik einer Jahresrückschau – den meiner Meinung nach besten Alben 2019. Im Gegensatz zum extrem schwachen Musikjahr 2018 gab es diesmal wieder mehr Erfreuliches auf die Ohren, so dass die Top 20 gar nicht so einfach zusammenzustellen waren.
Als Anfang 2019 klar war, dass es neue Alben von Lana Del Rey, Marina (& the Diamonds), The Soulboy Collective und Thayer Sarrano geben würde, konnte ich sogar anfangs noch auf ein Mega-Musikjahr hoffen, doch leider entpuppten sich Marina und Thayer für mich als größte Enttäuschungen 2019. Gerade bei Marina war ich vom Großteil des Albums fast schon entsetzt, zumindest ernüchtert, und es ist nur den beiden tollen ersten Singles zu verdanken, dass es überhaupt in meiner Liste Erwähnung findet. Sehr schade, da geht eine meiner Ikonen des (noch) aktuellen Jahrzehnts wohl dahin...
Die positivste Überraschung des Jahres war hingegen Piroshka – vom neuen Projekt der Lush-Sängerin Miki hatte ich vorab nicht viel erwartet, war dann aber umso angenehmer von der Qualität der Songs geflasht. Newcomer des Jahres sind für mich Die Sauna aus München mit ihrer wunderbaren Mischung aus Kraut-Psychedelik und sonderbaren Pop-Melodien, dazu Beverly Kills aus Schweden mit ihrem 80er inspirierten PostPunk-Schrammelpop, und meine größte Hoffnung für ein gutes, „richtiges“ Pop-Album 2020 ist die ebenfalls schwedische Sängerin Winona Oak (siehe meine Song-Charts).
Wenn man sich meine Liste so anschaut, sticht diesmal die Länderverteilung ins Auge – die frühere Dominanz britischer Musik ist bei mir ja schon seit längerem vorbei, aber diesmal hat es sogar nur eine einzige Band aus dem UK in meine Top 20 geschafft, was einen Allzeit-Tiefpunkt darstellt. Dafür ist Frankreich gleich 4 Mal vertreten, Deutschland 3 Mal, Schweden 2 Mal, und Russland und Australien kommen genauso oft wie Großbritannien vor.
Aber genug der geschwätzigen Vorrede, hier nun endlich meine Top 44 des Jahres 2019:
01. Lana Del Rey – Norman Fucking Rockwell!
Es ist sicher keine große Überraschung, dass Lanas siebtes Album bei mir den Spitzenplatz erobert, auch wenn ich diesmal eine Weile mit dem Werk ringen musste, bis ich seine besondere Atmosphäre zu würdigen wusste (siehe auch meine ausführliche Rezension). NFR ist Lanas Version eines Folkalbums – nicht ohne Grund covert sie auf ihrer aktuellen Tour einen Song von Joni Mitchell und sang bei einem ihrer Konzerte neulich 2 Songs zusammen mit Joan Baez –, klingt minimalistisch und reduziert und hat deshalb für mich ein bisschen zu wenig von dem, was ihre bisherigen Alben auszeichnete, also das große Drama und die unterschwellige Düsternis, die hier nur noch in homöopathischen Dosen durchscheinen. Dennoch ist es ein tolles Album mit schönen Melodien und einem erstklassigen Flow, auf den man sich einlassen muss, um am Ende belohnt zu werden. Ich hoffe trotzdem, dass ihre nächste Scheibe wieder in eine andere Richtung geht...
Highlights: «Venice Bitch», «California», «The Next Best American Record», «Bartender», «Fuck it I love you», «How to Disappear»
[Nebenbemerkung: Es ist übrigens das erste Mal, dass ich bei meinem Album des Jahres einer Meinung mit vielen sog. Musikexperten bin – muss ich mir jetzt Sorgen machen? ;-) Tatsächlich ist NFR bei «Album of the Year», die alle wichtigen Musikkritiken aggregieren, mit riesigem Abstand die Nr. 1 (https://www.albumoftheyear.org/list/summary/2019/).
Pitchfork, die «Born To Die» damals 2012 lächerliche 5.5 Punkte gaben und zu den Quatschköppen gehörten, die Lanas „Authentizität“ anzweifelten, sind ja nun auch endgültig auf den Lana-Zug aufgesprungen und haben NFR mit einer 9.4-Bewertung zur Nr. 1 erkoren (https://pitchfork.com/features/lists-and-guides/best-albums-2019/). Genauso wie The Guardian, ebenfalls bisher eher als langjährige Lana-Skeptiker bekannt (https://www.theguardian.com/music/2019/dec/03/50-best-albums-of-2019). Auf die Idee, heutzutage noch Lanas „Authentizität“ oder vermeintliche „Inauthentizität“ zu diskutieren, käme glücklicherweise wohl kaum noch jemand, und so freut es mich schon, dass es ihr mit dem neuen Album gelungen ist, auch die letzten Kritiker zum Verstummen zu bringen. :-) ]
02. Piroshka – Brickbat
Wie schon in der Einleitung geschrieben ist das Album der Band um Lush-Sängerin Miki Berenyi meine größte positive Überraschung des Jahres. Bei „Supergroups“ (es spielen auch Mitglieder von Elastica, Moose und Modern English mit) sind meine Erwartungen normalerweise eher gedämpft, zumal wenn es, wie bei Lush, über zwei Jahrzehnte her ist, dass neue Musik veröffentlicht wurde (die EP von vor einigen Jahren klammere ich mal aus, weil es sich dabei vermutlich um alte Outtakes handelt). Umso erfrischender nun «Brickbat» – die Gitarren singen und sägen wie zu besten Zeiten, Mikis Stimme beamt einen zurück in die 90er, und wenn das Album vorbei ist, möchte man es eigentlich gleich wieder von vorne laufen lassen. Das Cover erinnert zudem ein bisschen an frühere 4AD-Tage. Indie-Herz, was willst du mehr? :-)
Highlights: «Run For Your Life», «What’s Next?», «She’s Unreal»
03. Graveyard Club – Goodnight Paradise
So langsam mausert sich die Band aus Minneapolis zu einer meiner neuen heimlichen Lieblingsbands. War ihr Debüt «Cellar Door» schon ziemlich cool und landete bei mir 2016 auf Platz 12, so setzt die neue Scheibe noch mal einen drauf. Die Musik kommt unspektakulär und überwiegend poppig daher, doch gelingt es dem Quartett immer wieder, leicht süßliche Arrangements mit melancholischer Grundstimmung, sanften Girl/Boy-Vocals und eingängigen Melodien zu verbinden. Somit also mein Indiepop-Album des Jahres.
Highlights: «It hurts», «Witchcraft», «Red Roses»
04. Die Sauna – So schön wie jetzt war es noch nie
Die Newcomer des Jahres kommen aus München und legen mit ihrem Debütalbum gleich mal furios los. Krautrock-Elemente vereinen sich mit Pop und Psychedelik zu einer ungewöhnlichen, aber höchst attraktiven Mischung, der ich mich schwerlich entziehen kann. Gerade die Highlight-Songs wie «Das geometrische System» haben höchste hypnotische Qualität.
Highlights: «Das geometrische System», «Das letzte», «Das Ende»
05. The Ballet – Matchy Matchy
Das queere Duo aus New York ist ja ein alter Bekannter für Coast Is Clear-Leser, ist doch ihr Hit «In my head» aus dem Jahr 2006 bis heute ein tanzflurfüllender Indiepop-Klassiker. Das neue Album ist Synthie-betonter als zuvor, aber ihr Faible für wunderbar dahinschmelzende Melodien und augenzwinkernden Humor ist ungebrochen. Ein ausgesprochen unterhaltsames Werk!
Highlights: «Cry Baby», «But I'm a Top», «First Time in a Gay Bar»
06. Death And Vanilla – Are You A Dreamer?
Die schwedische Elektroband ist mit ihrem cinematischen und hypnotischen Grundsound, der an 90er Bands wie Broadcast erinnert, ja schon seit einigen Jahren aktiv und immer wieder für ein prima Album gut. Auch ihre neue Scheibe ist wieder eine runde Sache, die man sehr gut von vorne bis hinten durchhören kann, ohne jetzt auf große Hits zu setzen.
Highlights: «A Flaw in the Iris», «Mercier»
07. It’s For Us – Stay
Bei nur einer schwedischen Band in meinen Charts will ich es nicht belassen – It’s For Us spielen melodischen PostPunk, wie er derzeit in Skandinaviens Indieszene recht beliebt ist. War ihr Debütalbum auch schon nicht verkehrt, aber noch recht ungeschliffen, so hat das Quartett aus Stockholm nun sein Songwriting verfeinert und liefert 11 (überwiegend) gelungene Lieder am Stück ab.
Highlights: «All the Time», «Catcher in the Rye»
08. Rémi Parson – Arrière-pays
Ihr kennt mich ja inzwischen – ich schummele gerne mal ein Album aus dem jeweiligen Vorjahr in meine Charts. :-) So auch mit dem zweiten Album des französischen Sängers Rémi Parson, das Ende 2018 erschien, mir aber erst 2019 zu Ohren kam. Anders als sein Debüt, das sehr synthielastig war, ist «Arrière-pays» deutlich waveartiger, was dem Sound absolut zugute kommt.
Highlights: «Mode d’emploi», «Dos d’âne»
09. Lemolo – Swansea
Dem Albumtitel zum Trotz stammt Meagan Grandall aka Lemolo nicht aus England, sondern aus Seattle. Wer nun allerdings grungige Gitarren erwartet, wird sich beim Durchhören ihres aktuellen Albums verwundert die Augen reiben, denn es geht sehr dreampoppig und atmosphärisch zu – ein Werk zum Ein- und Abtauchen.
Highlights: «High Tide», «Interlude»
10. The Soulboy Collective – Snob Fatigue
Lange, sehr lange hat es gedauert, bis das neue, mehrfach angekündigte Album von The Soulboy Collective nun endlich heraus kam. Bis dahin erschienen schon diverse tolle Singles, die die Vorfreude auf das Werk weiter steigerten. Wie schon beim Vorgänger setzt Jürgen Dobelmann auch diesmal auf einen Sound zwischen Northern Soul und Indiepop, der das Tanzbein zum Mitwippen animiert.
Highlights: «We Will Succeed If We Take Matters in Our Own Hands», «What Would Steven Patrick Do?», «Can We Start Again?»
11. Lilly Among Clouds – Green Flash
Yep, gleich zwei deutsche Acts hintereinander in meinen Charts. Lilly Among Clouds (aka Elisabeth Brüchner) kommt aus Bayern und legt mit ihrem zweiten Album eine richtig gelungene, flotte, stimmige Scheibe vor, die zwischen Pop und Indie-Sounds wandert. Stimmlich erinnert sie mich manchmal an Marina (& the Diamonds), was für mich natürlich noch ein zusätzlicher Pluspunkt ist.
Highlights: «Look at the Earth», «Love U 4ever»
12. Robi – Traverse
Französische Acts räumen dieses Jahr bei mir, wie schon angekündigt, ziemlich ab. So auch das neue Album der Sängerin Chloé Robineau aus Paris. Ihr Album vereint all das, was ich an moderner französischer Musik mag – einen Hang zur Melancholie, schöne Melodien, aber auch interessante Sounds mit etwas Wave-Touch.
Highlights: «Chambre d’embarquement», «C'est dire le bonheur»
13. Emily Jane White – Immanent Fire
Das Cover des aktuellen Albums der kalifornischen DarkFolk-Sängerin erinnert ein bisschen an das von Chelsea Wolfes «Pain Is Beauty» – soundmäßig geht es hier nicht ganz so finster zu, aber dennoch herrscht eine wohlig melancholisch verschattete Grundatmosphäre, begleitet von wohltemperierten Arrangements.
Highlights: «Light», «Surrender»
14. La Féline – Vie Future
Und gleich nochmal eine gehörige Portion Melancholie hinterher. La Féline spielt zuweilen leicht versponnenen ArtPop, der dennoch immer melodisch und eingängig bleibt. Mit atmosphärischer Musik bin ich halt immer zu begeistern, zumal wenn sie mit charmant französischem Gesang begleitet wird wie hier.
Highlights: «Visions de Dieu», «Effet de nuit»
15. CHKBNS – Autwik
Allzu oft schaffen es russische Bands ja nicht in meine Charts, aber CHKBNS (gesprochen: Cheekbones) aus St. Petersburg verdienen sich mit ihrem angedüsterten DreamPop-/Shoegazealbum einen Platz in meinen Top 20.
Highlights: «From», «Neural»
16. Hatchie – Keepsake
Auch Australien darf in meiner Liste nicht fehlen – auf das Hatchie-Album war ich schon ziemlich gespannt, war doch ihre Debüt-EP eine erfrischende Neuauflage psychedelischer Madchester-Sounds. Auf dem Longplayer setzt sie dies fort, allerdings fehlen mir manchmal etwas die memorabilen Ideen, deshalb unterm Strich dann doch keine Top 10.
Highlights: «Without a Blush», «Unwanted Guest»
17. Twin Oaks – See You When I See You
Das Cover des Debütalbums der Band aus Los Angeles stimmt den Hörer im Grunde schon auf das ein, was musikalisch folgt: melancholische DreamPop-Musik, oft recht traurig und verloren klingend. Sehr schön!
Highlights «Montauk», «Lost»
18. Camp Claude – Double Dreaming
Frankreich zum Vierten – die Musik des Trios lässt sich schwer eingrenzen, geben sich doch hier Mazzy Star-eske Balladen die Klinke in die Hand mit quirligen Dancesongs. Abwechlungsreich und unterhaltsam.
Highlights: «Horses», «Double Dreaming»
19. Bethany Curve – Murder!
Okay, der Preis für das Album, auf das die Fans am längsten warten mussten, geht dieses Jahr definitiv an die kalifornischen Shoegazer von Bethany Curve. Fast 15 Jahre dauerte es von der ersten Ankündigung auf ihrer Website bis zur Vollendung. Oft verheißen so lange Wartezeiten nichts Gutes, das neue BC-Werk ist jedoch eindeutig gelungen. Und SEHR düster (wie man es bei dem Titel auch erwarten konnte).
Highlights: «I'm Alive», «The Solution»
20. Black Swan Lane – Vita Eterna
Die Band aus den USA, die auf früheren Alben auch schon von Mark Burgess von den Chameleons unterstützt wurde, bringt in regelmäßigen Abständen Alben mit angenehm dunklen Gitarrenwavesongs heraus. Auch ihr neues Werk weiß mit schönen Melodien zu überzeugen, wobei ein bisschen mehr Abwechslung sicher nicht geschadet hätte.
Highlights: «Condannare», «The Prisoner»
21. MARINA – Love + Fear
22. whenyoung – Reasons to Dream
23. Hydrogen Sea – Automata
24. Tracy Shedd – The Carolinas
25. Baden Baden – La Nuit Devant
26. Me Not You – Already Gone
27. Love Shop – Brænder Boksen Med Smukke Ting
28. NEØV – Volant
29. CHAMPS – The Hard Interchange
30. Anna Ternheim – A Space For Lost Time
31. Longwave – If we ever live forever
32. Sloan Peterson – Midnight Love Vol. 2
33. Sharon Van Etten – Remind me of tomorrow
34. Static Daydream – Cracked Inside
35. Cigarettes After Sex – Cry
36. Inkubus Sukkubus – Lilith Rising
37. Echoberyl – Apparition
38. Little May – Blame My Body
39. Lily Kershaw – Arcadia
40. ViVii – ViVii
41. The Limiñanas/Lionel Limiñana – Le bel été
42. Westkust – Westkust
43. The Twilight Sad – IT WON/T BE LIKE THIS ALL THE TIMES
44. seablite – Grass Stains and Novocaine
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