Der Coast Is Clear Jahresrückblick 2012 – Teil 1: Die Alben
So, das war also 2012. Na toll. Die Welt ist dann entgegen den Maya-Weissagungen doch nicht am 21.12.12 untergegangen, was mancher bedauern mag, vor allem diejenigen, die sich schon mit Nahrungsvorräten, Waffen und unteriridischen Bunkern auf den Weltuntergang vorbereitet hatten. Andere wiederum freut’s, denn sonst könntet Ihr heute nicht meinen traditionellen musikalischen Jahresrückblick lesen. Muss man ja auch mal so sehen.Musikalisch erwies sich 2012 auf der einen Seite als mäßig ergiebig, andererseits war es auch ein ganz besonderes Jahr, wie Ihr spätestens bei meinem Blick auf die Top-Songs (morgen oder übermorgen) erkennen werdet. Man kann es kurz und knapp so zusammenfassen – 2012 stand für mich eindeutig im Zeichen von Lana Del Rey. Zum ersten Mal hörte ich von ihr im Mai 2010 (die «Diet Mtn Dew»-Demo), doch auch die 2011 erschienenen Songs, darunter dann schon der Welt-Hit «Video games» ließen bestenfalls erahnen, was mich 2012 erwarten würde. Mit großer Vorfreude sah ich der Veröffentlichung ihres „Debüt“-Albums (welches eigentlich schon ihr zweites ist) «Born to Die» entgegen – und war nach dem ersten Durchlauf zunächst enttäuscht. Die Experimentierfreude und das durchaus Angeschrägte ihrer bisherigen Lieder war hier viel poliertem Pop gewichen. Dennoch sprach mich diese Mischung aus Melancholie, Verlorenheit, Nostalgie und latenter Erotik sehr an, berührte mich emotional, so dass ich die Scheibe immer und immer wieder hörte. Und so entwickelte sich BTD nicht nur zu meinem mit Abstand meistgehörten Album 2012, sondern zum meistgehörten Album seit ich last.fm benutze (seit 2005) und vermutlich sogar zum meistgehörten Album seit 1999 (Mylène Farmers «Innamoramento»).
Und auch wenn manch hornbebrillter Musikjournalist das Werk natürlich langweilig finden musste (Pop! Teufelszeug!) und wohl gerne von „Hype!“ und „Fake!“ schrieb, konnte das meiner Begeisterung nichts an haben. Einige Medienvertreter waren da auch weniger engstirnig, z.B. Plattentests.de (7/10) oder Fact:
The debut album from the most divisive pop star in some time did nothing but further polarize the conversation. Unfortunately, the conversation usually revolved too much around the idea of Lana Del Rey and not the music of Lana Del Rey. Whatever your opinions on retro-fetishism and her “gangsta Nancy Sinatra” PR spin, Born To Die is a phenomenal accomplishment: 15 songs (including bonus cuts, but not counting the expanded Paradise edition) with few if any missteps, a malleable but distinct voice, a well-oiled pop soundtrack that seamlessly fuses its many influences, and a pair of zeitgeist-defining songs (‘Blue Jeans’ and ‘Video Games’). When was the last time a record — and a major label debut, at that — could say all that?(Den „Fake!“- und „Nicht authentisch!“-Quakfröschchen sei übrigens auch der Artikel «Deconstructing Lana Del Rey» aus dem Spin Magazine zur Lektüre empfohlen.)
Da im Laufe des Jahres weit über 100 (!) weitere Songs von LDR im Netz auftauchten – ihr erstes Album, ihre erste EP, unzählige Demos, dazu dann am Ende des Jahres auch noch «Paradise» –, bei denen sie wieder ihre frühere erstaunliche stilistische Bandbreite unter Beweis stellte, blieb sie bei mir das ganze Jahr hindurch aktuell, und so ist es wenig verwunderlich, dass sie Platz 1 und 2 in meinen Jahrescharts belegt. Dahinter kommt eigentlich erstmal lange nichts, aber aus Gründen der Konsistenz will ich die weiteren Plätze mal nicht leer lassen. :-)
1. Lana Del Rey – Born To Die
Tja, wie schon gesagt, an diesem Album, das schon im Januar erschien, kam nichts und niemand vorbei. Dachte ich am Anfang noch, dass es sich vielleicht schnell abnutzen könnte, habe ich es das ganze Jahr hindurch mit Freude gehört und mehrwöchige Pausen sorgten für Entzugserscheinungen. Allerdings: Ich finde das Album toll, aber nicht überragend – sie hätte hier gerne mehr Mut beweisen können und einige der etwas faden Poplieder durch ein paar ihrer Demos Marke «She’s not me» oder «Velvet crowbar» ersetzen sollen. Dann wäre es ein Pop-Album für die Ewigkeit geworden. Aber auch so eine wunderbare CD, mit Luft nach oben. Meine Favoriten: «Summertime sadness», «Diet Mountain Dew», «Video games» und «Blue jeans».
2. Lana Del Rey – Paradise
Und gleich nochmal Lana. Dass sie im November noch ein zweites Album herausbringen würde (ja, «Paradise» gibt es auch als eigenständige CD, zumindest außerhalb von Dtl.), hatte ich nicht zu hoffen gewagt. Genausowenig, dass sie es auf diesem Werk schaffen würde, die Düsternis zu steigern und stilistisch noch besser zu werden als auf BTD. «Ride», «Cola» und «Gods and monsters» sind für mich das beste, was sie bisher veröffentlicht hat, und letztere bestechen durch eine abgründige TripHop-Atmosphäre, wie auch die gesamte Scheibe in die Rubrik „extra moody“ einzusortieren ist. Ein netter, sicherlich beabsichtigter Kontrast zum süßlichen Cover und dem Albumtitel. (Textlich sollte sich LDR für die Zukunft jedoch mal ein paar neue Themen überlegen, damit es nicht langweilig wird, wenn andauernd über Sex und tote US-Stars gesungen wird.)
3. School of Seven Bells – Ghostory
So, nun auch ein shoegazeartiges Album in meinen Charts. Wie üblich, könnte man meinen, bringt das Duo aus Brooklyn einen herrlich elektronisch umspülten Klangteppich, der sphärisch und dennoch treibend eine Brücke schlägt zwischen 80er Sounds (Marke Cocteau Twins) und heutigen Synthieklängen. Dazu der elfenhafte Gesang von Sängerin Alejandra Deheza, so dass ich sehr angetan bin. Highlights: «Lafaye» und «White wind».
4. 2:54 – 2:54
Hier sagt das Cover schon mehr als tausend Worte. Dunkel geht es zu, verhuscht und verlassen, gleichzeitig auch bedrohlich – das ist die Musik des Londoner Quartetts 2:54. Post-Punk nennt man so etwas heute wohl, und von der Grundatmosphäre her kann man sich durchaus an die späten 70er/frühen 80er erinnert fühlen (Joy Division...). Bei diesem Album fehlt zwar für mein Empfinden ein wenig der Abwechslungsreichtum, aber mit grandiosen Songs wie «Creeping» oder «You’re early» reicht es allemal für den 4. Platz.
5. Cut City – Where's the Harm in Dreams Disarmed
Dieses Album, die Abschieds-CD der schwedischen Wave-Band ist eigentlich in die Charts geschummelt, da es bereits Ende 2011 erschien, von mir damals aber komplett übersehen wurde. Ja, so wie Cut City hier aufspielen, muss moderner Post-Punk/Wave klingen – mit Blick für gute Melodien, dazu ordentlich melancholisch-düsteren Gitarren. Schade, dass sich die Band inzwischen aufgelöst hat.
6. Kent – Jag Är Inte Rädd För Mörkret
Die Grands Messieurs des schwedischen Breitwand-Pops mit ihrem neuesten Werk. Eine Rückkehr zu früherer Hymnenhaftigkeit und Gitarren-Großtaten à la «Du og jag döden» ist wohl nicht mehr zu erwarten, aber erneut erweist sich auch dieses Album als ein ziemlicher Grower mit einigen Ohrwürmern wie «Tänd På» oder «Beredd På Allt».
7. California Wives – Art History
Das hatte sich letztes Jahr ja schon angedeutet, als diese Band aus Chicago gleich mehrere Songs in meinen 2011er Top 20 platzieren konnte. Sehr angenehmer, feinziselierter Wave-Pop mit durchaus sonniger Note. Leider sind viele der neuen Songs nicht ganz so grandios wie die schon bekannten, aber insgesamt überwiegt doch der sehr positive Eindruck.
8. Bondage Fairies – Bondage Fairies
Mal was ganz anderes als bisher. Die schwedische Band macht „Nintendo-Death-Punk“, wie sie selbst sagt – im Prinzip ist das eher Pop mit Synthies und ein paar Bratgitarren (erinnert so gesehen ein bisschen an Carter USM). Ein Megatrend 2012: kurze Alben! Die BF bieten gerade mal etwas über 29 Minuten Spielzeit an. Ziemlich dürftig. Aber insgesamt eine unterhaltsame Scheibe, wenn auch ohne übermäßig viel Tiefgang. Oberburner: «1-0».
9. Drakes Hotel – Logic Adopts Senses
Drakes Hotel haben mich schon seit längerem immer wieder mit tollen Songs überzeugt – ihr neuestes Album macht da keine Ausnahme. Die Garbage-Anleihen früherer Tage schimmern immer noch durch, dennoch ist das, was das Duo aus den USA hier zeigt, eigenständig und stimmungsvoll. Top-Hits: «From over» und «Game show heart».
10. Magnus Ekelund & Stålet – Det Definitiva Drevet
Dass auch dieses Album aus Schweden nur 8 Songs umfasst und gerade mal 31:40 Min. lang ist, muss ich wohl nicht extra erwähnen... Auf jeden Fall sind Magnus Ekelund & Stålet für mich eine DER Neuentdeckungen 2012 – die Band erinnert an Broder Daniel und die frühen Kent und pendelt zwischen Euphorie und Melancholie. Knaller: «Ymer II» und «I din famn».
11. Burning Hearts – Extinctions
Der Nachfolger des erstaunlichen Debüts «Aboa sleeping» dieser finnischen Band hatte mich zuerst ein wenig enttäuscht, da die Musik diesmal überwiegend unspektakulär daher kommt, aber sich mit der Zeit dann doch in die Gehörgänge schleicht. «Into the wilderness», ihr Hit aus dem Jahr 2011, ist dabei das absolute Highlight. Live war das Duo bei ihrem Konzert in Hamburg wieder eine Wucht!
12. The Raveonettes – Observator
Wieder ein sehr kurzes Album – kaum mehr als 31 Minuten spendieren uns die Raveonettes auf ihrem neuen Album. Die inzwischen in den USA lebenden Dänen waren 2012 sehr produktiv – auf eine tolle, an die Pains of Being Pure at Heart erinnernde EP im Frühjahr folgte dann wenige Monate darauf «Oberservator». Wie üblich erfindet die Band das Rad nicht neu, alles bleibt wohltemperiert im Raveonettes-Kosmos, aber Spaß macht es immer noch, man höre sich nur «Till the end» und «Sinking with the sun» an.
13. Dernière Volonté – Mon meilleur ennemi
Das Ein-Mann-Projekt von Geoffroy D. hat sich nicht erst mit diesem Album (zum Glück) weit von den martialischen Anfängen entfernt und weiß seit einer Weile mit Minimal-Elektronik/Wave zu gefallen. Anfang des Jahres kam sogar noch eine B-Seiten-Kollektion heraus, so dass DV zusammen mit den Raveonettes und Lana DR zu den besonders fleißigen Künstlern 2012 zählten. Meilleurs tubes: «Je tuerai qui tu voudras» et «La sentence est la même».
14. Giardini di Mirò – Good Luck
Auch Italien schickt diesmal einen Kandidaten ins Rennen – Giardini di Mirò spielen schon seit vielen Jahren in der oberen Post-Rock-Liga mit, konnten mich bisher aber nie so ganz überzeugen. Mit ihrem neuen Album ist das anders – durch verstärkten Einsatz von Gesang und hübschen Harmonien entstand ein wirklich gelungenes Werk, das an I Like Trains (s.u.) erinnert. Höhepunkte: «Spurious love» und «Flat heart society».
15. Yeti Lane – The Echo Show
Und gleich noch etwas aus Frankreich, von einer Band, die völlig unfranzösisch klingt. Krautrock und Shoegaze sind ihr Ding, und der angenehme Motorik-Beat zieht sich, gemeinsam mit mal mehr, mal weniger psychedelisch verzerrten Gitarren, durch ihr neues Album.
16. I Like Trains – The Shallows
Von ihren früheren Klangwelten haben sich auch I Like Trains auf diesem Album recht weit weg bewegt – hatte das Quintett aus Leeds in ihren Anfangstagen mit oberdüsteren Pulsaderaufschneidesongs wie «Spencer Parcival» gepunktet, ist der Sound nun offener, weniger bedrückend. Dadurch zwar nicht mehr ganz so atmosphärisch, aber das Schreiben melancholischer Melodien haben die Jungs nicht verlernt, wie sie vor allem bei «Mnemosyne» zeigen.
17. Metric – Synthetica
Die modernen Blondie? So jedenfalls wirkt das Album phasenweise auf mich, wobei die Scheibe im Laufe der Monate ein wenig an Glanz verlor. Aber für die Top 20 langt es noch. Zumal mit Songs wie «Artificial nocturne».
18. The Twilight Sad – No One Can Ever Know
Wer seine Musik gerne mit finsterer Note kredenzt bekommen mag, kommt bei The Twilight Sad in der Regel voll auf seine Kosten. Ihr neues Album klingt allerdings weniger verquast und bedrückend als frühere Werke, so dass ich es mir 2012 des öfteren zu Gemüte geführt habe. Ihre Mischung aus Shoegaze, Post-Punk und sogar leichter Kraut-Rhythmik beschert ihnen Platz 18. Meine Favoriten sind «Nil» und «Another Bed».
19. Poppy Ackroyd – Escapement
Und nun für mich eher ungewöhnliche Töne in meinen Top 20 – Poppy Ackroyd heißt tatsächlich so, ist eine britische Pianistin und Violinistin und bietet auf ihrem (natürlich kurzen...) Album perlende Instrumentalstücke, sog. „moderne Kammermusik“. Kann ich nicht den ganzen Tag hören, aber wenn, dann gerne – vor allem «Seven» und «Glass Sea».
20. Beach House – Bloom
Also eigentlich müsste ich Beach House viel besser finden als es tatsächlich der Fall ist, aber irgendwas fehlt mir oft bei ihren Songs. Auch bei dem neuen Album, das toll anfängt, dann aber nach dem Höhepunkt «Myth» signifikant nachlässt, bleibt am Ende eine leichte Unterbefriedigung. Trotzdem schön, dass shoegazeartige Klänge mittlerweile auch außerhalb der „Szene“ Anklang finden.
21. Magic Wands – Aloha moon
22. The Ghosts – The end
23. Gravenhurst – The ghost in daylight
24. Shoreline Is – Deal kindly
25. Tindersticks – The something rain
26. DIIV – Oshin
27. Neil Halstead – Palindrome Hunches
28. Eat Lights Become Lights – Heavy Electrics
29. The Lost Patrol – Rocket surgery
30. The Fresh & Onlys – Long Slow Dance
31. Tamaryn – Tender new signs
32. The Early Days – The Early Days
33. Motorama – Calendar
34. Now, Now – Threads
35. Bear In Heaven – I love you, it's cool
36. The Prostitutes – Deaf to the call
37. Piano Magic – Life has not finished with me yet
38. Saint Etienne – Words and Music by Saint Etienne
39. Two Wounded Birds – Two Wounded Birds
40. Late Night Venture – Pioneers of Spaceflight
41. Dernière Volonté – Ne te retourne pas
42. Lescop – Lescop
43. Goldenboy – The new familiar
44. Bat for Lashes – The haunted man
45. Klaus & Kinski – Herreros y Fatigas
46. Mylène Farmer – Monkey me
47. Dead Can Dance – Anastasis
48. Moon Duo – Circles
49. Daybehavior – Follow that car!
50. Voltarenes – 924
51. Amanda Mair – Amanda Mair
52. Chromatics – Kill for love
53. Yppah – Eighty one
54. Allo Darlin’ – Europe
Überraschend wenige Übereinstimmungen zwischen uns. Aber mittlerweile wundere ich mich gar nicht mehr, dass manch einer ganz andere Alben am Zettel hat als ich. Liegt an den Quellen. Wer etwa Stereogum und Co. liest, hat wieder komplett andere Alben am Radar. Bei Lana Del Rey muss ich dir natürlich völlig beipflichten, sagenhaftes Album, auch Paradise begeistert. Auch Burning Hearts und Raveonettes kann ich gut nachvollziehen, wenngleich bei letzteren die EP meiner Ansicht nach noch besser war.
AntwortenLöschenStichwort Stereogum - eine Top 50, in der LDR nicht auftaucht, kann ich nicht ernst nehmen. ;-) Generell kenne ich so manches von deren Liste nicht, finde aber vieles auch einfach strunzöde, wie Tame Impala, Alt-J u.ä. Das ist einfach nicht meine Welt - Wave- oder Pop-Gitarren sind, wie man bei diversen andren (insbes. amerikanischen) Listen sieht, nicht en vogue.
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